Album der Woche | Amir Katz: „Chopin Etudes“ – „Brillant – und weit mehr als einfache Fingerübungen“ – Große Pianisten scheuten vor den Chopin-Etüden: Arthur Rubinstein etwa bekannte, dass er sie nie komplett gekonnt hat. Und dann kommt der junge […]
Album der Woche | Amir Katz: „Chopin Etudes“ –
„Brillant – und weit mehr als einfache Fingerübungen“ –
Große Pianisten scheuten vor den Chopin-Etüden: Arthur Rubinstein etwa bekannte, dass er sie nie komplett gekonnt hat. Und dann kommt der junge Amir Katz und spielt sie so brillant, als ob es nix Leichteres gäbe.
von Beatrice Schwartner, MDR KULTUR-Musikredaktion
Eigentlich müsse man 25 Jahre lang Pianist sein, meinte der fabelhafte Geza Anda, um allein die erste Etüde aus Chopins op. 10 richtig spielen zu können. Und auch andere Granden am Klavier scheuten sich vor den Chopin-Etüden: Arthur Rubinstein bekannte frank und frei, dass er sie nie komplett gekonnt hat. Und Vladimir Horowitz fand, sie seien alle schrecklich. Gerade die erste sei für ihn schrecklich schwer.
Und dann kommt dieser junge Amir Katz und spielt sie so unbeeindruckt brillant, als ob es nix Leichteres gäbe als diese vertrackten Doppelgriffe, die ganze Klaviatur hoch und runterlaufenden Akkordbrechungen, die technischen Klippen in jedem einzelnen Stück, weit mehr als einfache Fingerübungen also. Keine Angst vor großen Namen, Amir Katz? Immerhin gibt es ja nicht besonders viele Aufnahmen von den Chopin-Etüden, aber doch Referenzaufnahmen von Gavrilov, von Perahia und Pollini.
Diese Klangästhetik trifft mitten
Amir Katz spielt das enorm schwierige Entrée cool und gelassen. Der Mann hat einen ausgeprägten Tast- und Spürsinn auf dem Klavier, eine Klangästhetik, die einen mitten ins Herz trifft: Katz beleuchtet, wo es des Lichts bedarf, er dimmt, wo Tiefe und Zerbrechlichkeit sich ausbreiten, er lässt der Musik einen ganz natürlichen Pulsschlag. Mal rasant, dann wieder kurzes Atemholen durch ein fast unmerkliches Ritardando. Ausgesprochen elegant und intensiv. Wo, fragt man sich beim Hören, ist da der Trick?
Quer durch den Quintenzirkel geht es mit diesem Chopinzyklus, wenn man op. 10 und op. 25 als Gesamtheit nimmt, gewidmet übrigens Franz Liszt – beginnend in C, endend in C, tonartlich, aber jeweils auch dramaturgisch zu einem ruhigen Mittelpunkt hinfindend. In ihrer Symmetrie folgen die Lehrstücke ganz klar dem Vorbild von Bachs wohltemperierendem Klavier. Ob nun Schwarze Tasten-Etüde, irisierende Äolsharfen oder Oktav-Etüde: Amir Katz nimmt für jedes einzelne Stück das Präzisionsbesteck, lässt hin und wieder vielleicht das Mondäne in diesem Chopin ein bisschen aus dem Blick, das Geheimnisvolle. Aber andererseits: Katz ist jetzt 44 Jahre alt – da ist doch definitiv noch Zeit für eine zweite Einspielung.
Über Amir Katz
Erst mit elf Jahren hat er überhaupt angefangen, Klavier zu spielen. Amir Katz war also alles andere als ein Wunderkind. Aber dann ging alles ganz schnell: Schon vier Jahre später belegte er den 1. Platz bei einem internationalen Klavierwettbewerb in Barcelona. Danach trat er sofort mit renommierten Orchestern auf. Noch keine 20 Jahre alt, tourte Katz durch Europa, spielte Konzerte über Konzerte und: Brauchte eine Pause.
Zwei Jahre dauerte diese Unterbrechung, bis Amir Katz sich 1995 Konzertpodium zurückkehrte. Hochgelobt wurde er unter anderem von argentinisch-isralischen Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim für seine klare Textur und für das Gefühl, das er in seinem Spiel transportiert. Mittlerweile hat der Israeli Amir Katz, der seit geraumer Zeit in Berlin wohnt, viele renommierte Klavier-Wettbewerbe gewonnen und sich die Bühnen dieser Welt erobert als Mendelssohn- und Schubert-Spezialist. Und auch die Etüden Frederick Chopins beherrscht Katz. 24 Etüden, je 12 des op. 10 und op. 25 hat Katz nun eingespielt. Sie sind weit mehr als Etüden in ihrer engeren Bedeutung, also mehr als Fingerübungen für Pianisten. Damit ist Amir Katz uns in der MDR KULTUR-Musikredaktion nicht mehr aus den Ohren gegangen.