Zwischen Höllentrip und leichter Wehmut
Im Saal herrscht angespannte Konzentration. Vor fast fünfeinhalb Stunden hatte das Konzert begonnen, und noch immer hat das musikhungrige Publikum nicht genug von der Droge namens Chopin. Die Gäste im Festsaal des Theaters Ingolstadt klatschen und brüllen Bravo, sie denken nicht daran, den Raum zu verlassen. Sie wollen Zugaben. Und der israelische Pianist Amir Katz gibt ihnen, was sie wollen: Noch drei weitere Chopin-Charakterstücke, zwei Walzer (in Es Dur, op. 8 und c-Moll, op. 64,2) und die Oktav-Etüde, erklingen, dann endlich verstummt das Publikum. Warum dieser Enthusiasmus? Wegen der genialen Musik Frédéric Chopins? Wegen des neuen Konzepts der Musiknacht? Oder einfach, weil Amir Katz so fulminant Klavier spielte Wahrscheinlich von allem etwas. Der Israeli verblüffte vermutlich mehr als jeder andere Solist an diesem Abend […]
Amir Katz: Ein in existenzialistischem Schwarz gewandeter Virtuose, der schnellen Schrittes zielgerichtet an den Flügel stürmte und sogleich, ohne einmal abzusetzen, die zwölf Etüden op. 10 in den Saal donnerte, als wären sie ein einziger zusammenhängender Satz. Katz spielte diesen pianistischen Höllentrip so geradlinig, so ernst und hochkonzentriert und vor allem technisch so perfekt, wie es nur wirklich bedeutende Pianisten vermögen […]
[…] so hörten wir hier die düstere Nachtseite des Romantikers. Katz hob die grollenden Bässe des Notentextes hervor, er vermochte das Klavier gewittern zu lassen und war zu fesselnder Dramatik fähig. Aber er konnte auch anders: Bei der dritten Etüde ließ er das liedhafte Thema rückhaltlos singen.
Klavierkonzert Nr. 1 überzeugte Katz […] mit dem Raffinement seines Anschlags, mit dramaturgisch geschicktem Spannungsaufbau und immer wieder überraschenden Momenten, etwa wenn er am Ende des Final-Satzes das Thema in der Wiederholung noch einmal pianissimo wie einen Nachklang spielte. Katz ist ein großer Pianist, von dem man nur hoffen kann, dass er bald wieder in Ingolstadt auftreten wird.